
Betrifft: Erster Schnee
Eines Morgens leuchtet es ins Zimmer,
und du merkst: ’s ist wieder mal soweit.
Schnee und Barometer sind gefallen.
Und nun kommt die liebe Halswehzeit.
Kalte Blumen blühn auf Fensterscheiben.
Fröstelnd seufzt der Morgenblattpoet:
»Winter lässt sich besser nicht beschreiben,
als es schon im Lesebuche steht.«
Blüten kann man noch mit Schnee vergleichen,
doch den Schnee· … Man wird zu leicht banal.
Denn im Sommer ist man manchmal glücklich,
doch im Winter nur sentimental.
Und man muss an Grimmsche Märchen denken
und an einen winterweissen Wald
und an eine Bergtour um Silvester.
Und dabei an sein Tarifgehalt.
Und man möchte wieder vierzehn Jahr sein:
Weihnachtsferien … Mit dem Schlitten raus!
Und man müsste keinen Schnupfen haben,
sondern irgendwo ein kleines Haus,
und davor ein paar verschneite Tannen,
ziemlich viele Stunden vorder Stadt.
Wo es kein Büro, kein Telefon gibt.
Wo man beinah keine Pflichten hat.
Ein paar Tage lang soll nichts passieren!
Ein paar Stunden, da man nichts erfährt.
Denn was hat wohl einer zu verlieren,
dem ja doch so gut wie nichts gehört.
Masha Kaléko
Winter
De sterren wintertintelen
en de maan
doorschijnt de melkwegnacht.
Het kraakt van sneeuw op de aarde
waar ik ga,
een nieteling, een adem wit,
een ademdamp van liefde en poezie.
Ida Gerhardt,
uit De Hovenier – Van Gorcum, Assen 1961
An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang
O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ists, dass ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
Ich schliesse sie, dass nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?
Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?
Und welch Gefühl entzückter Stärke,
lndem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick van Wehmut feucht?
lsts ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
-Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und Alles wird verwehn!
Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halbgeöffnet, süsse Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!
EDUARD MÖRIKE
Winterstilte
De grond is wit, de nevel wit,
De wolken, waar nog sneeuw in zit,
Zijn wit, dat zacht vergrijzelt.
Het fijngetakt geboomte zit
Met witten rijp beijzeld.
De boom houdt zich behoedzaam stil,
Dat niet het minste takgetril
’t Kristallen kunstwerk breke,
De klank zelfs van mijn schreden wil
Zich in de sneeuw versteken.
De grond is wit, de nevel wit,
Wat zwijgend tooverland is dit?
Wat hemel loop ik onder?
Ik vouw de handen en aanbid
Dit grootsche, stille wonder.
Jacqueline E. van der Waals

Der Schneemann
Seht, da steht er, unser Schneemann!
Das ist ein Geselle!
Stehet fest und unverzaget,
Weicht nicht von der Stelle.
Schaut ihm in die schwarzen Augen!
Wird euch denn nicht bange?
In der linken Hand da hat er
Eine lange Stange.
Einen grossen Säbel hält er
Fest in seiner Rechten.
Kommt heran! er wird sich wehren,
Wird mit allen fechten.
Über ihn kann nur der Frühling
Einen Sieg gewinnen:
Blickt ihn der nur an von ferne,
Wird er gleich zerrinnen.
Aber halt dich tapfer, Schneemann!
Lass dir off enbaren:
Stehst du morgen noch, so wollen
Wir dich schlittenfahren.
AUGUST HEINRICH HOFFMANN VON FALLERSLEBEN
Winterdorp
Het is een dorp
Niet ver van hier
Een boerendorp
Aan een rivier
Het is niet groot
En vrij obscuur
Maar ’t heeft een naam
En een bestuur
Er is een school
Een harmonie
Een bankfiliaal
Een kerk of drie
Een communist
Een zonderling
En zelfs een zang-
vereniging
Nu is ’t er stil
’t Is wintertijd
Er heerst de griep
En knorrigheid
De dag is kort
De hemel grauw
En pas maar op
Je vat nog kou
Drs. P.
Uit: ‘Tante Constance en Tante Mathilde’
Liedteksten van Drs. P., Nijgh & Van Ditmar 1999.
Winter-Idyll
I
Schlitten klingeln durch die Gassen,
fusshoch liegt der Schnee geschichtet:
deutschem Winter muss man lassen,
dass er gar entzückend dichtet.
Und wir gehn, ein schneeweiss Pärchen,
Arm in Arm, mit heiBen Wangen.
Welch ein süsses Wintermärchen
hält zwei Herzen heut gefangen!
II
Wie kann ein Tag voll so viel Schmerz
so wunderherrlich enden,
ein Abend an mein einsam Herz
so reiches Glück verschwenden!
Oh Mund, entflammt, oh Aug’, entfacht
in schauerndem Begegnen! …
Oh aller Wunder holder Nacht,
wie magst du so mich segnen! …
III
Surre, surre, Rädchen,
hier sind tausend Fädchen
für ein Sonnenstrahlenzelt
um die weite, weite Welt!
Surre, surre, Rädchen,
denke doch! mein Mädchen
hat viel tausend Haare!
Reicht viel tausend Jahre!
Surre, surre, Rädchen,
tausend goldne Fädchen
wolln von dir zu Sonnenschein
heute noch gesponnen sein!
CHRISTIAN MORGENSTERN
Sneeuw
Het wit.
Onhoorbaar is
het wit. Slechts
wat getrippel
van vogelpoten
heel omzichtig
in de bange
stilte van het
wit.
Onhoorbaar ligt
het wit in de
leeggeblazen ochtend.
Ik schrijf er
geen voetstappen
in.
Roland Jooris
uit: Bladstil – Antwerpen Gerd Segers 1977

Eislauf
Auf spiegelndem Teiche
zieh’ ich spiegelnde Gleise.
Der Kauz ruft leise.
Der Mond, der bleiche,
liegt über dem Teiche.
Im raschelnden Schilfe,
da weben die Mären,
da lachet der Sylphe
in silbernen Zähren,
tief innen im Schilfe.
Hei, fröhliches Kreisen,
dem Winde befohlen!
Glückseliges Reisen,
die Welt an den Sohlen,
in eigenen Kreisen!
Vergessen, vergeben,
im Mondlicht baden;
hingaukeln und schweben
auf nächtigen Pfaden!
Sich selber nur leben!
GERHART HAUPTMANN
Fest auf der Alster
All das Eis wir schwelgen
im Winter unter der Sonne
Lauf en auf Kufen im Kreis
und gradaus mit und gegen
und durch Licht und Wind.
Alte Ehepaare ziehn sich
noch enger zusammen
Vater und Mutter kreisen
in hohem Bogen ums Kind.
Wippende Mädchen im heiratsfähigen Alter
lächeln aus der Hüfte heraus gutaus
staffierte Lilien in kühnen Kurven
kreuzen ihre Herzensmänner das Feld.
Sogar silbrige Herren und Damen geraten
ins Schleudern der Hut fliegt vom Kopf
der Hund rutscht hinterdrei
Hund rutscht hinterdrein wittert
Glühwein auf Eis.
Übermütig lächeln wir alle verschworene
Kinder die vom selben Süssen genascht
Werfen Lächeln wie Bälle uns zu
durch die lächelnde Luft. Lächeln
als gäbe es nichts zu bestehn
als den nächsten Schritt als geschähe
nur was wir im voraus schon sehn bis
an den Horizont von
Brücken .Kirchen und Banken.
Lächelnd vergibt ein jeder von uns
seinem Nächsten und sich
diesen Nachmittag lang
all das Eis
unter der Sonne.
ULLA HAHN
Winter
Winter. Je ziet weer de bomen
door het bos, en dit licht
is geen licht maar inzicht:
er is niets nieuws
zonder de zon.
En toch is ook de nacht niet
uitzichtloos, zolang er sneeuw ligt
is het nooit volledig duister, nee,
er is de klaarte van een soort geloof
dat het nooit helemaal donker wordt.
Zolang er sneeuw ligt is er hoop.
Herman de Coninck
uit: Zolang er sneeuw ligt. – Brugge: Orion. 1975
Sonne im Februar
Wir haben die Fenster
mit Schnee gewaschen
Helios atme sie trocken
Strähn
unser frostverästeltes Haar
mit dem Sonnenkamm
Freilich wir wissen
im Dornengarten
hast du schlafende Rosen begraben
bald wirst du sie wecken
kelchgerecht
für die Regentaufe
Wir werden
Zeugen sein
Indessen blühn
farblose Eisblumen
auf dem Moosdach
verwesender Väter
ROSE AUSLÄNDER

Frühlingstraum
Ich träumte von bunten Blumen,
So wie sie wohl blühen im Mai,
Ich träumte von grünen Wiesen,
Von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Auge wach;
Da war es kalt und finster,
Es schrieen die Raben vom Dach.
Doch an den Fensterscheiben,
Wer malte die Blätter da?
Ihr lacht wohl über den Träumer,
Der Blumen im Winter sah?
Ich träumte von Lieb um Liebe,
Von einer schönen Maid,
Von Herzen und von Küssen,
Von Wonn’ und Seligkeit.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Herze wach;
Nun sitz ich hier alleine
Und denke dem Traume nach.
Die Augen schliess ich wieder,
Noch schlägt das Herz so warm.
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?
Wann halt ich dich, Liebchen, im Arm?
WILHELM MÜLLER
Sneeuwbui
Het nieuwe jaar begint met zachte vlokken
die zachtjes dalen en onwillig landen.
Het aarden wordt hun dooi, of ze zich branden
aan warme aardkorst, hete huizenblokken.
De aarde drinkt de sneeuw met grote slokken
en raakt verkild tot in haar ingewanden.
De vlokken winnen door hun massa. Wanden
van groen worden van spikkelwit doortrokken.
De grondverf dekt. Dimensies dijen uit.
En kijk, daar is de kerstkaart, rijstepap.
Een hond danst lachend – met een wolvensnuit
door zindelijk wit Hollands poollandschap.
Een Alptraum van één dag. De witte bruid
lost zachtjes schreiend op in grijze drab.
Patty Scholten
Uit: ongekuste kikkers – Atlas Amsterdam 1997
Verheissung
Fühlst du durch die Winternacht,
Durch der kalten Sternlein Zittern,
Durch der Eiscrystalle Pracht,
Wie sie flimmern und zersplittern:
Fühlst nicht wehen laue Mahnung,
Keimen leise Frühlingsahnung?
Drunten schläft der Frühlingsmorgen,
Quillt in gärenden Gewalten
Und, ob heute noch verborgen,
Sprengt er rings das Eis in Spalten:
Und in wirbelnd lauem Wehen
Braust er denen, die ’s verstehen.
Hörst du aus der Worte Hall,
Wie sie kühn und trotzig klettern,
Und nut Jugendlichem Prall
Klirrend eine Welt zerschmettern:
Hörst du nicht die leise Mahnung,
Warmen Lebensfrühlings Ahnung?
HUGO VON HOFMANNSTHAL

Der Winter
I
Wenn sich das Laub auf Ebnen weit verloren,
So fällt das Weiß herunter auf die Tale,
Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle,
Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren.
Es ist die Ruhe der Natur, des Feldes Schweigen
Ist wie des Menschen Geistigkeit, und höher zeigen
Die Unterschiede sich, dass sich zu hohem Bilde
Sich zeiget die Natur, statt mit des Frühlings Milde.
II
Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.
Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.
III
Wenn bleicher Schnee verschönert die Gefilde,
Und hoher Glanz auf weiter Ebne blinkt,
So reizt der Sommer fern, und milde
Naht sich der Frühling oft, indes die Stunde sinkt.
Die prächtige Erscheinung ist, die Luft ist feiner,
Der Wald ist hell, es geht der Menschen keiner
Auf Straßen, die zu sehr entlegen sind, die Stille machet
Erhabenheit, wie dennoch alles lachet.
Der Frühling scheint nicht mit der Blüten Schimmer
Dem Menschen so gefallend, aber Sterne
Sind an dem Himmel hell, man siehet gerne
Den Himmel fern, der ändert fast sich nimmer.
Die Ströme sind, wie Ebnen, die Gebilde
Sind, auch zerstreut, erscheinender, die Milde
Des Lebens dauert fort, der Städte Breite
Erscheint besonders gut auf ungemeßner Weite.
IV
Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.
Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.
V
Wenn sich das Jahr geändert, und der Schimmer
Der prächtigen Natur vorüber, blühet nimmer
Der Glanz der Jahreszeit, und schneller eilen
Die Tage dann vorbei, die langsam auch verweilen.
Der Geist des Lebens ist verschieden in den Zeiten
Der lebenden Natur, verschiedne Tage breiten
Das Glänzen aus, und immerneues Wesen
Erscheint den Menschen recht, vorzüglich und erlesen.
Friedrich Hölderlin

Der Gärtner an den Garten im Winter
Eine Idylle
In Silberhüllen eingeschleiert
Steht jetzt der Baum,
Und streek et seine nackten Äste
Dem Himmel zu.
Wo jüngst das reife Gold des Fruchtbaums
Geblinket, hängt
Jetzt Eis herab, das keine Sonne
Zerschmelzen kann.
Entblättert steht die Rebenlaube,
Die mich in Nacht
Verschloss, wenn Phöbus flammenatmend
Herniedersah.
Das Blumenbeet, wo Florens Töchter
In Morgenrot
Gekleidet, Wohlgeruch verhauchten,
Versinkt in Schnee.
Nur du, mein kleiner Buchsbaum, pflanzest
Dein grünes Haupt
Dem Frost entgegen, und verhöhnest
Des Winters Macht.
Mit Goldschaum überzogen, funkelst
Du an der Brust
Des Mädchens, das die Dorfschalmeie
Zum Tanze ruft.
Ruh sanft, mein Garten, bis der Frühling
Zur Erde sinkt,
Und Silberkränze auf die Wipfel
Der Bäume streut.
Dann gaukelt Zephyr in den Blüten,
Und küsset sie,
Und weht mir mit den Düften Freude
In meine Brust.
LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH HÖLTY
Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,
Aus deren Krone den blassgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die grosse Nacht.
…Nicht anders tauchen unsre Träume auf,
Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder gross im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.
Das Innerste ist offen ihrem Weben,
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.
Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.
HUGO VON HOFMANNSTHAL
Niets dan sneeuw
Niets dan sneeuw
in de voorbijrazende trein
huizen bomen
schilderijen taferelen
alles wit
zo eindeloos wit
takken twijgen
fijn getekend
alles niets dan sneeuw
Cathy Mara
uit: Gedichten van vroeger 1986
Städtische Sommernacht
Unten macht sich aller Abend grauer,
und das ist schon Nacht, was da als lauer
Lappen sich um die Laternen hängt.
Aber höher, plötzlich ungenauer,
wird die leere leichte Feuermauer
eines Hinterhauses in die Schauer
einer Nacht hinaufgedrängt,
welche Vollmond hat und nichts als Mond.
Und dann gleitet oben eine Weite
Weiter, welche heil ist und geschont,
Und die Fenster an der ganzen Seite
werden weIss und unbewohnt.
RAINER MARIA RILKE

Vollmond
Leise schwimmt der Mond durch mein Blut …
Schlummernde Töne sind die Augen des Tages
Wandelhin – taumelher –
lch kann deine Lippen nicht finden …
Wo bist du, ferne Stadt
Mit den segnenden Düften?
Immer senken sich meine Lider
Uber die Welt – alles schläft.
ELSE LASKER-SCHÜLER
Es gibt so wunderweiße Nächte
Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.
Weit wie mit dichtem Diamantenstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut
Rainer Maria Rilke.
Vollmond
Gelbes Eis
Und grüne Nebel.
Kranke Kallablüten leuchten.
Von den bleichen Bechern rinnet
Goldnes Öl in sanften Strömen.
Warmer Moder,
Nackte Schädel.
Über weille Marmorwüsten
Fliehen lautlos
Schwarze Schwäne.
MAX DAUTHENDEY
Die rote Maske
Der Mond kam der Nacht heissrot entgegen,
Schien trunken von Wollust und verwegen,
Wie einer, dem das Blut stieg zu Kopf,
Wie ein wilder, sehnsüchtiger Tropf.
Die Nacht wär’ dem Roten gern ausgewichen,
Schwer schwankend kam er durchs Feld gestrichen;
Doch als sie genau sah, war’s tot und kalt
Nur eine rotgeschminkte Gestalt.
Der Mond war Hanswurst und wurde verlegen,
War nicht wollüstig und nicht verwegen,
Es fiel ihm _die rote Maske ins Gras,
Darunter die tote Sehnsucht sass.
Ein kahler Schädel mit eisigen Wangen
Ist bleich an der Nacht vorübergegangen;
Die Lippen erfroren, die Augen blind,
So trug ihn fort der Morgen wind.
MAX DAUTHENDEY
Der Mond
Als Gott den lieben Mond erschuf,
gab er ihm folgenden Beruf:
Beim Zu- sowohl wie heim Abnehmen
sich deutschen Lesern zu bequemen,
ein Ol formierend und ein Z
dass keiner gross zu denken hätt’.
Befolgend dies, ward der Trabant
ein völlig deutscher Gegenstand.
CHRISTIAN MORGENSTERN

Im Winter
Wiesengrund und Bergeshöh’
Liegen wie begraben,
Auf dem schimmernd weißen Schnee
Tummeln sich die Raben.
Mag die Sonne auch ihr Licht
Fernehin entsenden,
Es erquickt und wärmet nicht,
Kann nur schmerzlich blenden.
Dicht vor meinem Fenster steht
Eine schlanke Linde,
Mit Diamanten übersä’t
Stöhnet sie im Winde.
An die Scheiben pocht sie leis’,
Leis’ wie Glöckchen läuten;
Was sie sagen will, ich weiß
Mir es wohl zu deuten.
Arme Linde! Tag und Nacht
Scheinst du mir zu klagen:
»Dürft ich doch, statt toter Pracht,
wieder Blüten tragen!«
Betty Paoli.
Der Abend kommt von weit gegangen
Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann presst er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.
Und stille wird ein jedes Haus;
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.
Rainer Maria Rilke
Die hohen Tannen atmen heiser
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern, –
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zur Ewigkeit.
Rainer Maria Rilke

Von der unbefleckten Erkenntniss
Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte.
Aber, ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib.
Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer.
Denn er ist lüstern und eif ersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach der Erde und nach allen Freuden der Liebenden.
Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen!
Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: – aber ich mag alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt.
Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich.
Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den »Rein-Erkennenden!« Euch heisse ich Lüsterne!
FRIEDRICH NIETZSCHE
Du bist mein Mond
Du bist mein Mond und ich bin deine Erde;
Du sagst, du drehest dich um mich.
Ich weiss es nicht, ich weiss nur, dass ich werde
In meinen Nächten heil durch dich.
Du bist mein Mond und ich bin deine Erde;
Sie sagen, du veränderst dich.
Allein, du änderst nur die Lichtgebärde
Und liebst mich unveränderlich.
Du bist mein Mond und ich bin deine Erde;
Nur mein Erdschatten hindert dich,
Die Liebesfackel stets am Sonnenherde
Zu zünden in der Nacht für mich.
Friedrich Rückert
Der Mond
Als ich erwacht’ in der Nacht und dacht’, es graue der Morgen,
War der verspätete Mond leuchtend am Himmel zu sehn,
Der mit goldenem Glanze die schimmernde Fläche des Schneefelds
Also hob, dass ein Schein täuschenden Tages sich wob.
Doch ihm trat gegenüber der Stern des Morgens im Osten,
Und mit dem Frührot ihm und mit der Sonne zu drohn.
Doch er fühlte sich stark und lachte des prahlenden Herolds,
Um ein weniges nur färbte sich matter sein Gold.
Siehe, da kam Aurora, die ewigen Rosen in Händen,
Und am entlaubten Gebüsch rötete Stamm sich und Ast.
Kläglich sah nun der Mond sen Gold zu Silber erblassen,
Und da die Sonn’ aufging, schwand er ein Wölkchen im Blau.
Friedrich Rückert
Winterlandschaft
Unendlich dehnt sie sich, die weiße Fläche,
bis auf den letzten Hauch von Leben leer;
die muntern Pulse stocken längst, die Bäche,
es regt sich selbst der kalte Wind nicht mehr.
Der Rabe dort, im Berg von Schnee und Eise,
erstarrt und hungrig, gräbt sich tief hinab,
und gräbt er nicht heraus den Bissen Speise,
so gräbt er, glaub’ ich, sich hinein ins Grab.
Die Sonne, einmal noch durch Wolken blitzend,
wirft einen letzten Blick auf’s öde Land,
doch, gähnend auf dem Thron des Lebens sitzend,
trotzt ihr der Tod im weißen Festgewand.
Christian Friedrich Hebbel

An den Mond
Wandle, wandle, holder Schimmer!
Wandle über Flur und Au,
Gleitend, wie ein kühner Schwimmer,
In des stillen Meeres Blau.
Sanft im Silberglanze schwebest
Du so still durchs Wolkenmeer,
Und durch deinen Bliek belebest
Du die Gegend rings umher.
Manchen drücket schwerer Kummer,
Manchen lastet Qual und Pein;
Doch du wiegst in sanften Schlummer
Tröstend ihn, voll Mitleid, ein.
Sanfter, als die heisse Sonne,
Winkt dein Schimmer Ruh und Freud,
Und erfüllt mit süsser Wonne,
Tröstung und Vergessenheit.
Hüllst in dichtbewachsnen Lauben
Mit der sanften Fantasie
Ganz den Dichter; machst ihn glauben,
Seine Muse weiche nie.
Und auch mich hast du begeistert,
Der ich dir dies Liedchen sang,
Meiner Seele dich bemeistert,
Da mein Lied sich aufwärts schwang!
Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüsst sei du Halber dort oben,
Wie du, bin ich einer, der halb.
Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt.
Halb schmeckt ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Reu;
Die ersten Bissen genossen,
Schien alles mir einerlei.
Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entflohn sie und liessen mich alt.
Und also sitz ich verdrossen,
Doch läst die Zersplitterung nach;
Die leere Hälfte der Seele
Verdrängt die noch volle gemach.
FRANZ GRILLPARZER
Die Lotosblume ängstigt
Sich vor der Sonne Pracht
Und mit gesenktem Haupte
Erwartet sie träumend die Nacht.
Der Mond, der ist ihr Buhle,
Er weckt sie mit seinem Licht,
Und ihm entschleiert sie freundlich
Ihr frommes Blumengesicht.
Sie blüht und glüht und leuchtet,
Und starret stumm in die Höh;
Sie duftet und weinet und zittert
Vor Liebe und Liebesweh.
Still ist die Nacht, es ruhen die Gassen,
In diesem Hause wohnte mein Schatz;
Sie hat schon längst die Stadt verlassen,
Doch steht noch das Haus auf demselben Platz.
Da steht auch ein Mensch und starrt in die Höhe,
Und ringt die Hände, vor Schmerzensgewalt;
Mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe, –
Der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt.
Du Doppeltgänger! Du bleicher Geselle!
Was äffst du nach mein Liebesleid,
Das mich gequält auf dieser Stelle,
So manche Nacht, in alter Zeit?
Nacht liegt auf den fremden Wegen,
Krankes Herz und müde Glieder; –
Ach da fliesst, wie stiller Segen,
Süssr Mond, dein Licht hernieder.
Süsser Mond, mit deinen Strahlen
Scheuchest du das nächtge Grauen;
Es zerrinnen meine Qualen,
Und die Augen übertauen.
Auf den Wolken ruht der Mond,
Eine Riesenpomeranze,
Überstrahlt das graue Meer,
Breiten Streifs, mit goldnem Glanze.
Einsam wandl’ ich an dem Strand,
Wo die weissen Wellen brechen,
Und ich hör viel süsses Wort,
süsses Wort im Wasser sprechen.
Ach die Nacht ist gar zu lang,
Und mein Herz kann nicht mehr schweigen –
Schöne Nixen, kommt hervor,
Tanzt und singt den Zauberreigen!
Nehmt mein Haupt in euren Schoss,
Leib und Seel sei hingegeben!
Singt mich tot und herzt mich tot,
Küsst mir aus der Brust das Leben.
HEINRICH HEINE
Gang im Schnee
Nun rieseln weiße Flocken unsre Schritte ein.
Der Weidenstrich läßt fröstelnd letzte Farben sinken,
Das Dunkel steigt vom Fluß, um den versprengte Lichter blinken,
Mit Schnee und bleicher Stille weht die Nacht herein.
Nun ist in samtnen Teppichen das Land verhüllt,
Und unsre Worte tasten auf und schwanken nieder
Wie junge Vögel mit verängstetem Gefieder –
Die Ebene ist grenzenlos mit Dämmerung gefüllt.
Um graue Wolkenbündel blüht ein schwacher Schein,
Er leuchtet unserm Pfad in nachtverhängte Weite,
Dein Schritt ist wie ein fremder Traum an meiner Seite –
Nun rieseln weiße Flocken unsre Sehnsucht ein.
Ernst Stadler
Unterm weißen Baume sitzend…
Unterm weißen Baume sitzend,
Hörst du fern die Winde schrillen,
Siehst, wie oben stumme Wolken
Sich in Nebeldecken hüllen;
Siehst, wie unten ausgestorben
Wald und Flur, wie kahl geschoren; –
Um dich Winter, in dir Winter,
Und dein Herz ist eingefroren.
Plötzlich fallen auf dich nieder
Weiße Flocken, und verdrossen
Meinst du schon, mit Schneegestöber
Hab der Baum dich übergossen.
Doch es ist kein Schneegestöber,
Merkst es bald mit freudgem Schrecken;
Duftge Frühlingsblüten sind es,
Die dich necken und bedecken.
Welch ein schauersüßer Zauber!
Winter wandelt sich in Maie,
Schnee verwandelt sich in Blüten,
Und dein Herz es liebt aufs neue.
Heinrich Heine.
Mondesaufgang
An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch über mir gleich trübem Eiskristalle
Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
Der See verschimmerte mit leisem Dehnen, –
Zerflossne Perlen oder Wolkentränen? –
Es rieselte, es dämmerte um mich,
Ich wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;
Im Laube summte der Phalänen Reigen,
Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,
Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zumm Hafen,
Ein. Herz, das übervoll von Gluck und Leid
Und Bildern seliger Vergangenheit.
Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein,
Wo weilst du denn, mein milder Schein!
Sie drang ein wie sünd’ge Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu schwanken,
Verzittert war der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne an den Grund gesunken,
Nur Bergeshäupter standen hart und nah,
Ein düstrer Richterkreis, im Düster da.
Und Zweige zischelten an meinem Fuss
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruss;
Ein Summen stieg im weiten Wassertale
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsste etwas Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.
Da auf die Wellen sank ein Silberflor,
Und langsam stiegst du, frommes Licht, empor;
Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte Greise,
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.
O Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Wiederschein geschlungen,
Bist keine Sonne, die entzückt und blendet,
In Feuerströmen lebt, in Blute endet,
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o ein mildes Licht.
ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF

Im Winter
Der Acker leuchtet weiss und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.
Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leere Hain.
GEORG TRAKL
Wenn die Wildgaense schreien
Wenn die Wildgaense schreien,
neig’, Elch, dein weises Wandern
in den Schneewald. Wenige Reis-
graes’chen wende, in wilden Eis-
wassern wiegend. Indien-Elche
schreien, wenn die Wildgaense
Land gewinnen. Erde, sei weich,
wenn Schneereigen das Wild-Ei
naschen. Elen, wir sind die Wege!
Sing’ deine Wanderweisen, Elch.
Unica Zürn
Krähen im Schnee
Die schwarzen Krähen auf dem weissen Feld:
Der Anblick macht mein Herz erregt.
Es stäubt der Schnee. In Wirbeln kreist die Welt.
Sie sitzen auf den Bäumen unbewegt.
Die Zaubertiere aus der alten Zeit,
Sie sind bei uns nur zu Besuch.
Sie tragen noch das Galgenvogelkleid,
Sie hörten einst den rauhen Henkerfluch.
Was denken sie? Ach, du errätst es nicht!
Sie starren einsam vor sich hin.
Der Himmel hat ein milchig trübes Licht.
So war die Welt im ersten Anbeginn.
Nun naht vom Wald her sich ein neuer Gast.
Die andern sehen ihm nicht zu.
Er lässt sich nieder auf dem weissen Ast.
Und dann ertönt auch durch die Winterruh.
So rauh wie hohl der alte Krähenschrei.
In ihm ist Langweil und Verdruss.
So hocken sie, das schwarze Einerlei,
Und wirbelnd fällt der Schnee wohin er muss.
GEORG BRITTING
Stille Winterstrasse
Es heben sich Die Berge vernebelt braun
Die Berge aus dem klaren Weiss,
Und aus dem Weiss ragt braun ein Zaun,
Steht eine Stange wie ein Steiss.
Ein Rabe fliegt, so schwarz und scharf,
Wie ihn kein Maler malen darf,
Wenn er’s nicht etwa kann.
Ich stapfe einsam durch den Schnee.
Vielleicht steht links im Busch ein Reh
Und denkt: dort geht ein Mann.
Joachim Ringelnatz
Schnee
Zwischen den Bahngeleisen
Vertränt sich morgenroter Schnee.
Artisten müssen reisen
Ins Gebirge und an die See,
Nach Leipzig – und immer wieder fort, fort.
Nicht aus Vergnügen und nicht zum Sport.
Manchmal tut`s weh.
Der ich zu Hause bei meiner Frau
So gern noch wochenlang bliebe;
Mir schreibt eine schöne Dame:
„Komm zu uns nach Oberammergau.
Bei uns ist Christus und Liebe,
Und unser Schnee leuchtet himmelblau.“ –
Aber Plakate und Zeitungsreklame
Befehlen mich leider nicht dort-,
Sondern anderwohin. Fort, fort.
Der Schnee ist schwarz und traurig
In der Stadt.
Wer da keine Unterkunft hat,
den bedaure ich.
Der Schnee ist weiß, wo nicht Menschen sind.
Der Schnee ist weiß für jedes Kind.
Und im Frühling, wenn die Schneeglöckchen blühn,
Wird der Schnee wieder grün.
Beschnuppert im grauen Schnee ein Wauwau
Das Gelbe,
Reißt eine strenge Leine ihn fort. –
Mit mir im Oberhimmelblau
Wär’s ungefähr dasselbe.
Joachim Ringelnatz

Paraphrase von den Spuren im Schnee
Im Schnee lief eine Spur von blossen Füssen.
Sie ging verloren, irgendwo am Strassenrand,
von Schuh’ n zertreten, wehrlos, unerkannt.
Nun werd’ ich winterlang den Bruder suchen müssen.
Im Schnee lief eine Spur von blossen Füssen:
wir gingen warm verhüllt durch dunkle Zeit.
Weh uns, wenn wir dereinst den Frost der Herzen büssen!
Sie ging verloren, irgendwo am Strassenrand … •
Wen kümmerts, ist man selber nur gefeit!
Die Flocke schmilzt nicht mehr, denn lieblos ist die Hand.
Von Schuh’n zertreten, wehrlos, unerkannt:
dies ist das Ende. Niemand gibt Geleit.
Ein böser Frost hat alle Tränen längst verbrannt.
Nun werd’ ich winterlang den Bruder suchen müssen:
vielleicht werd’ ich am Wege selbst verschneit…
Wenn Gott uns fände? Ach, nur seinen Saum zu küssen!
Im Schnee lief eine Spur von blossen Füssen.
Sie ging verloren, irgendwo am Strassenrand,
von Schuh’ n zertreten, wehrlos unerkannt.
Nun werd’ ich winterlang den Bruder suchen.
CHRISTINE BUSTA
Februar
Vom Wind durch leere Strassen getrieben,
an Wirtshaus und Läden vorbei, –
Schnee hat meine Wangen gerieben
und riss mir die Haut entzwei.
Aus Asche gestreut verschlungene Zeichen
über dem freigewehten Stein.
Klingt mir das Ohr, wer will mich erreichen?
Kein Herz, kein Geläute holen mich ein.
Doch der Gedanke hat pochende Hufe,
und Kufen schleifen im Wagengleis,
ein Echo greift flüchtig nach Gitter und Stufe
aus windgebauschten Ärmeln von Eis.
Warst du es, Schatten, der meiner gedachte
und im Läuten der Schellen war?
Ach der mich flüsternd anrief und lachte
warf er mir Asche auf Brauen und Haar?,
GÜNTER EICH
ERNST JANDL
vor winterbeginn.
der frühling wird schon wieder kommen
wird schon wieder kommen, der frühling
und wieder wird der frühling kommen
und der frühling wird wieder kommen
frühling wird kommen, wieder …
wer früher stirbt
muss sich nicht mehr daran halten
an dieses ewige
frühling sommer herbst winter
frühling sommer herbst winter
frühling sommer herbst winter
frühling sommer herbst winter
frühling
Wird kommen
Wieder…
wer aber früher stirbt
hält sich nicht mehr an dieses
ewige ewige ewige ewige ewige…………….
sondern
sondern
sondern
sondern
sondern
.
.
.
.
.
Ernst Jandl
Dezember
Schwer der Übergang
Dieser Monat hat seine Wunden
Herzog Dezember
ein Fürst
in unserm Land
Wir dienen ihm Dass
sein Glanz uns
nicht erdrücke
ist unser Gebet
Schnee
uns zu Füssen
Weisse Sterne verbluten
Auch dieser Monat tut weh
Rose Ausländer
Winteranfang
Im Fach liegt nichts mehr,
die Soldaten, die um Mittag starben,
schlafen leichter unter dem Glas.
Die Windrichtungen sind schuld,
dass die Gräser sich einzogen
und dürr wurden,
dass die Rahmen passten,
die beschlossenen Herbste.
Wo flog mein Drachen hin, wie rasch
Wie kam es, sank er
Orangenrot, um sich zu Ruh zu betten,
An euer Haus?
Ilse Aichinger

Nebelland
Im Winter ist meine Geliebte
unter den Tieren des Waldes.
Dass ich vor Morgen zurückmuss,
weiss die Füchsin und lacht.
Wie die Wolken erzittern! Und mir
auf den Schneekragen fällt
eine Lage von brüchigem Eis.
Im Winter ist meine Geliebte
ein Baum unter Bäumen und lädt
Die Glückverlassenen Krähen
ein in ihr schönes Geäst. Sie weiss
Dass der Wind, wenn es dämmert,
ihr starres, mit Reif besetztes
Abendkleid hebt und mich heimjagt.
lm Winter ist meine Geliebte
unter den Fischen und stumm.
Hörig den Wassern, die der Strich
ihrer Flossen von innen bewegt,
steh ich am Ufer und seh,
bis mich Schollen vertreiben,
wie sie taucht und sich wendet.
Und wieder vom Jagdruf des Vogels
getroffen, der seine Schwingen
über mir steift, stürz ich
auf offenem Feld: sie entfiedert
die Hühner und wirft mir ein weisses
Schlüsselbein zu. Ich nehm’s um den Hals
und geh fort durch den bitteren Flaum.
Treulos ist meine Geliebte
ich weiss, sie schwebt manchmal
auf hohen Schuh’n nach der Stadt,
sie küsst in den Bars mit dem Strohhalm
die Gläser tief auf den Mund,
und es kommen ihr Worte für alle.
Doch diese Sprache verstehe ich nicht.
Nebelland hab ich gesehen,
Nebelherz hab ich gegessen.
Ingeborg Bachmann
Dezember
Nun wintert es in Luch und Lanken,
im Graben klirrt das schwarze Eis.
Und Schilf und Binsen an den Planken
stehn unterm Nebel steif und weiss.
Mit Kälte sind bepackt die Schlitten,
die Gäule eisig überglänzt.
Die Gans hängt starr, ins Hirn geschnitten.
Das fahle Rohr liegt flach gesenst.
Das Licht der Tenne ist erloschen.
Schnee drückt der kleinen Kirche Walm,
im Klingelbeutel friert der Groschen
und beizend schwelt der Kerzen Qualm.
Der Wind umheult die Kirchhofsmauer.
Des Todes karges Deputat
ist ein vereister Blätterschauer
der Eichen auf den letzten Pfad.
Hier ruhn, die für das Gut einst mähten,
die sich mit Weib und Kind geplagt,
landlose Schnitter und Kossäten.
Im öden Schatten hoekt die Magd.
Die Nacht ist ihre leere Scheune.
Die toten Schafe ziehn zur Schur.
Des Winters Korn behäuft die Zäune,
furcht es die hungerharte Flur.
Der Sturm wohnt breit auf meinem Dache,
wie eine Grille zirpt der Frost.
Und wenn ich alternd nachts erwache,
stäubt Asche kalt vom morschen Rost.
Am Hoftor schwer die Balken knarren,
im Nebel läutet ein Gespann.
Ein Kummet klirrt und Hufe scharren.
Ich weiss, ein grober Knecht spannt an.
Der Wolken Mauer steht dahinter
auf Wald und See und grau wie Stein.
Bald wird das Feuer vieler Winter
in einer Nacht erloschen sein.
PETER HUCHEL
Am Wintermorgen
Am Wintermorgen zur bleichen Zeit,
grau starren die Gärten und kahl.
Zwei Mädchen frösteln im dünnen Kleid,
und der Wachtposten gähnt am Kanal.
Alte Weiblein, wie Dohlen dunkel und schmal,
flattern und rudern herum.
Sie huschen gescheucht ums Klosterspital,
doch ihre Schritte sind stumm.
Wie willst du den traurigen Tag bestehn?
Und zum Abend ist es noch weit.
Du wirst dir die Füsse blutig gehn
in deiner Verlassenheit.
Da tritt aus dem Düster tastend ein Strahl
wie schüchterne Vogelmusik.
Und über dem schwarzen Kirchenportal
aufglüht das Goldmosaik.
WERNER BERGENGRUEN
Einst
Einst, wenn der Winter begann,
du hieltest von seinen Schleiern,
den Dämmerdörfern, den Weihern
die Schatten an.
Oder die Städte erglommen
sphinxblau an Schnee und Meer –
wo ist das hingekommen
Und keine Wiederkehr.
Alles des Grams, der Gaben
früh her in unser Blut – :
wenn wir gelitten haben,
ist es dann gut?
GOTTFRIED BENN

Winternacht
1
Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!
Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.
Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heissbewegte, wilde!
DaBss einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!
2
Dort heult im tiefen Wald
Ein Wolf;- wies Kind aufweckt die Mutter,
Schreit er die Nacht aus ihrem Traum
Und heischt von ihr sein blutig Futter
Nun brausen über Schnee und Eis
Die Winde fort mit tollem Jagen,
Als wollten sie sich rennen heiss:
Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen!
Lass deine Toten auferstehn
Und deiner Qualen dunkle Horden!
Und lass sie mit den Stürmen gehn,
Dem rauhen Spielgesind aus N orden!
Nikolaus Lenau
Winternacht
(Cellolied)
Ich schlafe tief in starrer Winternacht,
Mir ist, ich lieg’ in Grabesnacht,
Als ob ich spät um Mitternacht gestorben sei
Und schon ein Sternenleben tot sei.
Zu meinem K.inde zog mein Glück
Und alles Leiden in das Leid zurück,
Nur meine Sehnsucht sucht sich heim
Und zuckt wie zähes Leben
Und stirbt zurück
In sich.
Ich schlafe • tief in starrer Winternacht,
Mir ist, ich lieg’ in Grabesnacht.
ELSE LASKER-SCHÜLER
Winternacht
Verschneit liegt rings die ganze Welt,
Ich hab nichts, was mich freuet,
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.
Der Wind nur geht bei stiller Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seinen Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.
Er träumt von künftger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.
JOSEPH VON EICHENDORFF

Winternacht
Das war beredet und besprochen,
Wie lange her, ich ahn′ es nicht.
Der Tag ist da, die Pulse pochen,
Die Flocken fallen träg und dicht.
Im fremden Dorf, im fremden Saale,
Es kennt uns keiner, welche Lust,
Wir drehn uns unter′ m Kerzenstrahle,
Wie schweißt die Liebe Brust an Brust.
Und eng gedrängt im regen Schleifer,
Entzünden wir uns mehr und mehr,
Ich fühl′ s, ich bin Besitzergreifer,
Ich weiß auch, das ist dein Begehr.
Geheimnisvoller Schatten breitet
Sich über unser Stelldichein,
O komm, ein Zimmer liegt bereitet,
Ein traut Gemach, wir sind allein.
Der Wirt, mit artigem Verneigen,
Lässt uns hinein, wünscht gute Nacht,
Kein Späher horcht, die Sterne schweigen,
Und stumm ist rings die Winterpracht.
Und wie beim Fest die Hochzeitsgäste
Noch weiter jubeln bei Musik,
Verklingt, verhallt in unserm Neste
Gejauchz und Violingequiek.
Wie bin ich schnell bei Band und Schnallen,
Sie wehrt sich, sie verweigert′ s mir,
Und ist mir um den Hals gefallen,
Verwirrung schloß die Augen ihr.
Noch sträubt sie sich, schon fällt die Hülle,
Sie will nicht und sie muß, sie muß,
Und bringt mir ihre süße Fülle,
Und bringt sie mir in Glut und Kuß.
Der Morgen naht in tiefer Stille,
Sie schläft erschöpft im weichen Flaum,
Noch drang nicht durch die Ladenrille
Das Frührot in den heiligen Raum.
Die Ampel gießt in Dämmermilde
Ein Zartlicht ihr um Brust und Arm,
Und auf das himmlische Gebilde
Sah lächelnd ich und liebewarm.
Und eh′ die Sonne sich erhoben,
Sind wir schon unterwegs im Schnee,
Da hab′ ich sie emporgehoben,
Und trug sie, ein verzognes Reh.
Und trug sie bis an ihre Kammer,
An′ s Erdenende tät ich′ s noch,
Sie aber wollte kaum die Klammer
Entlösen meinem Nackenjoch.
Die erste Krähe läßt sich hören,
Leb′ wohl, mein Schatz, auf Wiedersehn.
Und durch die hochbeschneiten Föhren
Muß nun den Weg allein ich gehn.
Die Sonne steigt, und tausend Funken
Durchglitzern das beeiste Feld.
Von Glück und Liebe bin ich trunken,
O Gott, wie herrlich ist die Welt.
Mitte des Winters
Das Jahr geht zornig aus. Und kleine Tage
Sind viel verstreut wie Hütten in den Winter.
Und Nächte ohne Leuchten, ohne Stunden,
Und grauer Morgen ungewisser Bilder.
Sommerzeit, Herbstzeit, alles geht vorüber,
Und brauner Tod hat jede Frucht ergriffen.
Und andre kalte Sterne sind im Dunkel,
Die wir zuvor nicht sahn vom Dach der Schiffe.
Weglos ist jedes Leben. Und verworren
Ein jeder Pfad. Und keiner weiss das Ende,
Und wer da suchet, dass er Einen fände,
Der sieht ihn stumm und schüttelnd leere Hände.
GEORG HEYM
Früchte des Winters
Meine Einsamkeit ist noch jung, ein Kind.
Weiss nicht wie man Schneehütten haut
Wie man sich birgt in der Höhle.
Die Insein auf denen ich mich ansiedeln will
Verschwinden gurgelnd im Wasser.
Jeden Tag hebt die Erde
Jede Nacht
Kommen die Winde
Meine Widersacher
Zerreissen die Hecke
Aus Traumblume Mohn.
Zu Kundschaftern taugen
Die nicht mehr kennen
Worte der Liebe und
Worte des Willkomms.
Auf ihrem verlorenen Posten
Bleiben sie stehen
Rufen werda
Und reden mit Geistern.
Wenn der Tod sie anspringt
Frostklirrend
Aus schwarzem Gebüsch
Fallen sie ihm entgegen
Früchte des Winters
Umstäubt
Von diamantenem Schnee.
MARIE LUISE KASCHNITZ
Schneelied
Mit dem Schnee
will ich trauern.
Schmelzen wird er
und deine Schritte
vergessen.
Hier
bist du gegangen.
Kehr zurück.
Lass dich bitten
mit dem erwachten
Fluss,
dem wieder
gefundenen Land.
Jetzt,
nach dem Frost,
tauen in meinen Briefen
die Sätze
und holen dich,
ohne Gedächtnis,
ein.
Kehr zurück.
Und sei
wie vor dem Schnee.
PETER HÄRTLING

Landschaft
Rote Mühlen stehen an verschneitem Ufer:
Grüne Wellen tragen Eis statt gelben Schaum.
Schwarze Vögel, Unglückskünder, Unheilrufer,
Hocken hoch und schwer in einem hohlen Baum.
O wie viele Tiere im Gezweige nisten:
Meine bösen Stunden aber sind noch mehr.
Sorgenvögel müssen dort ihr Leben fristen:
Spähen durch die Silberäste hin und her.
Und ich weiss es nicht, ist so etwas ein Traum?
Denn ich baue ihn empor, den kahlen Baum!
Doch die fremden Vögel kamen ungerufen:
Ich kenne keine Fernen, die sie schufen.
Plötzlich drehen sich die Räder meiner Mühle:
Bloss für einen Augenblick erbraust der Sturm.
Jetzt muss ich die Vögel in mir selber fühlen:
Weiter schleicht der eisgefleckte Wasserwurm.
THEODOR DÄUBLER
Nebelabend
Hier in der Türe
wo der Nebel wartet
müsste ich wütend sein
auf diesen Winter
und den Zorn um mich schlagen
als hochgeschlossenen Mantel
und hinausgehen
in die Kälte die weich zurückweicht
Aber dem Nebel
kann ich nicht böse sein
den Winter vor dem mir bang war
kann ich nicht hassen
Stillender Nebel
tröstlicher dienstbarer Dunst
ungewisse Umwölkung
der unbevölkerten Gassen
halbundurchsichtige Nachsicht
der vorsichtig tastenden Nacht
langsame Einsamkeit
fast freundliches Frösteln
Dieser Winter ist
kein Feind der eisig zupackt
kein Pack von pfeifendem Wind
und rasselnden Blättem
Auch kein Pakt mit dem Tod
dass er starrt in der starren Zeit
sondern er wartet
als würde er helfen wollen
ERICH FRIED
bittrer winter
novembernotiz:
trage den mantelkragen
aufgeschlagen
unweigerlich faellt
die vorderste
reihe
& wir sind dran
dezember
herre jesu christ
da Du in dem himmel bist
behandle gestern wie heut
sehr bevorzugt meine leut
das bittet Dich
Dein ewigjunger TOD
jaenner
wie kann er der magre kleine
mit schepperndem gebeine
zertreten
unser fleisch
wie kurz & duerre ist
Dein name
TOD
wie arg Dein
stachel
fasching & februar
geisterbahnen dienen dem
leben
masken dem gesicht
geaendert das licht
jeder stammtisch
wird vererbt
maerz
furche & bauer
der krah auf der lauer
nach samen
die zeiten keimen
NORBERT C. KASER
wenn im öflein s feuer kracht,
winter durch das fenster lacht,
wenn die flocken lustig toben,
sollst den lieben werwolf loben.
fröhlich streunt er durch das feld,
fühlt den frieden dieser welt,
sträubt sein fellchen voller wonne,
frank und frei von aller sonne.
liebe kinder, nichts wie raus!
hurtig aus dem vaterhaus,
nehmt vom süssen weihnachtskuchen,
geht mit ihm den werwolf suchen.
H. C. ARTMANN
Ein Lied
hinterm Ofen zu singen
Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht Süss noch Sauer.
War je ein Mann gesund, ist er’s;
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiss nichts von Nachtschweiss noch Vapeurs,
Und schläft im kalten Zimmer.
Er zieht sein Hemd im Freien an,
Und lässt’s vorher nicht wärmen;
Und spottet über Fluss im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.
Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiss er sich nichts zu machen,
Hasst warmen Drang und warmen Klang
Und alle warme Sachen.
Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn’s Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;
Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
Und Teich’ und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das hasst er nicht,
Denn will er sich tot lachen. —
Sein Schloss von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.
Da ist er denn bald dort bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.
MATTHIAS CLAUDIUS
Das Nüsseklopfen
Wann’s still im Winter Abend ward zuhause
und auf dem Herd die milde Lampe schien,
schob manchmal Mutter scherzend nach der Jause
vor uns den Sack nit welschen Nüssen hin.
Wir Buben fingen an, sie aufzuklopfen,
sie brachen unterm Stössel spröd entzwei;
selbst Vater hörte auf Tabak zu stopfen
und liess zum Werk ein Weilchen sich herbei.
Bedächtig lösten aus den scharfen Scherben
und aus den Scheiden dann wir Kern um Kern,
um nicht die schönen Hälften zu verderben,
und naschten die zerquetschten Stückchen gern.
Wir liessen lang vor uns die Häufchen blinken;
und wuchs der Berg im Weitling hoch und Breit,
so roch’s nach Beugeln und nach Palatschinken …
dann war’s gewöhnlich schon fürs Nachtmahl Zeit.
THEODOR KRAMER

Ein Winterabend
- Fassung
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke Iäutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
GEORG TRAKL
Märchen
Auf der Suche
nach etwas Schönem wie Schnee
ging ich leer aus
bis es des Wegs zu schneien begann
ELISABETH BORCHERS
An der Ecke
Der Winter kommt und mit ihm meine Alte,
die an der Ecke stets Kastanien briet.
Ihr Antlitz schaut aus einer Tücherspalte
froh und gesund, oh Falte auch bei Falte
seit vielen Jahren es durchzieht.
Und tüchtig ist sie, ja, das will ich meinen;
die Tüten müssen rein sein, und das Licht
an ihrem Stand muss immer helle scheinen,
und von dem Ofen mit den krommen Beinen
verlangt sie streng die heisse Pflicht.
So trefflich schmort auch keine die Maroni.
Dabei bemerkt sie, wer des Weges zieht,
und alle kennt sie – bis zum Tramwaypony;
sie treibts ja Jahre schon, die alte Toni …
Und leise summt ihr Herd sein Lied.
RAINER MARIA RILKE
Grauer Wintertag
Es ist ein grauer Wintertag,
Still und fast ohne Licht,
Ein mürrischer Alter, der nicht mag,
Dass man noch mit ihm spricht.
Er hört den Fluss, den jungen,
ziehn Voll Drang und Leidenschaft;
Vorlaut und unnütz dünkt sie ihn,
Die ungeduldige Kraft.
Er kneift die Augen spöttisch ein
Und spart noch mehr am Licht,
Ganz sachte fängt er an zu schnei’n,
Zieht Schleier vors Gesicht.
Ihn stört in seinem Greisentraum
Der Möwen grell Geschrei,
Im kahlen Ebereschenbaum
Der Amseln Zänkerei.
All das Getue lächert ihn
Mit seiner Wichtigkeit;
Er schneielet so vor sich hin
Bis in die Dunkelheit.
Hermann Hesse

Erster Schnee
Wie nun alles stirbt und endet
Und das letzte Rosenblatt
Müd sich an die Erde wendet,
In die warme Ruhestatt:
So auch unser Tun und Lassen,
Was uns heiss und wild erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei ins welke Laub gelegt!
Reiner, weisser Schnee, o schneie,
Schneie beide Gräber zu,
Dass die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Winterruh!
Bald kommt j ene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Hass umsonst die Hände
Träumend aus dem Grabe streckt!
GOTTFRIED KELLER
Winternacht
Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.
Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.
Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.
Mit ersticktem Jammer tastet’ sie
An der harten Decke her und hin –
Ich vergeß das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!
Gottfried Keller
Der erste Schnee
Der leise schleichend euch umsponnen
Mit argem Trug, eh ihrs gedacht,
Seht, seht den Unhold! über Nacht
Hat er sich andern Rat ersonnen.
Seht, seht den Schneemantel wallen!
Das ist des Winters Herrscherkleid;
Die Larve lässt der Grimme fallen;
Nun wisst ihr doch, woran ihr seid.
Er hat der Furcht euch überhoben,
Lebt auf zur Hoffnung und seid stark;
Schon zehrt der Lenz an seinem Mark,
Geduld! und mag der Wütrich toben.
Geduld! schon ruft der Lenz die Sonne,
Bald weben sie ein Blumenkleid,
Die Erde träumet neue Wonne,
Dann aber träum ich neues Leid!
ADELBERT VON CHAMISSO
Im Schnee
Wie naht das finster türmende
Gewölk so schwarz und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!
Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuß, der fliehende,
Im Schneefeld naß und kalt.
Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!
Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die wache Seele schürt,
Ein perlend, nie versiegendes
Gedankenbrauwerk rührt!
Gottfried Keller
Heilige Winternacht
Die überschneiten Felder funkeln wie polierter Stahl,
bis an die nachtschwarz vorgeschobene Wälderküste.
Alleen schneiden, schroff wie zackige Gerüste,
der Schimmerflächen wechselndes Opal.
Wie eine ungeheure Kuppel steigt der Mond herauf.
Weissgelbe Wolken flattern: aufgebläht wie Fahnen,
die sich in Prozessionen um Monstranz, Soutanen
und Opferschreine scharen. Und wie Knauf an Knauf
auf Schäften hingespitzt, erblitzen die Gestirne.
Nacht schauert, überrauscht vom orgelnden Orkan,
stumm-fromm zusammen. Aller Unrast abgetan
ragen des Dorfes Dächer auf: steilsteif wie Firne
und spiegeln, wie um letzte Schwärze abzuschwächen,
die weissen Giebel in den zugefrornen Bächen.
PAUL ZECH
In der Winternacht
Es wächst viel Brot in der Winternacht,
weil unter dem Schnee frisch grünet die Saat;
erst wenn im Lenze die Sonne lacht,
spürst du, was Gutes der Winter tat.
Und deucht die Welt dir öd und leer,
und sind die Tage dir rauh und schwer:
Sei still und habe des Wandels acht
es wächst viel Brot in der Winternacht.
Friedrich Wilhelm Weber.

Ich fahr durch Schnee und weisse Nacht
Ich fahr durch Schnee und weisse Nacht.
Der D-Zug rauscht. Der Schneesturm kracht.
Ich press ans Fenster mein Gesicht:
O Himmelslicht! O Himmelslicht!
Und blank entsteigt dem dunklen Wald
Des ewigen Baumes Lichtgestalt.
Der Schleier fällt vom Firmament,
Und Sonne, Mond und Stern entbrennt.
Die Weihnacht hat uns hart beschert:
Blutedelstein und Eisenschwert.
In Tränen spielt das heilige Kind
Mit Donnerklang und Wolkenwind.
Der finstre Geist herrscht überall,
Des Kindes Spiel bringt ihn zu Fall.
Die Sehnsucht ist sein Angesicht:
O Himmelslicht! O Himmelslicht!
KLABUND
Heimkehr
Schneefall, dichter und dichter,
taubenfarben; wie gestern,
Schneefall, als schliefst du auch jetzt noch.
Weithin gelagertes Weiss.
Drüberhin, endlos,
die Schlittenspur des Verlornen.
Darunter, geborgen,
stülpt sich empor,
was den Augen so weh tut,
Hügel um.Hügel,
unsichtbar.
Auf jedem,
heimgeholt in sein Heute,
ein ins Stumme entglittenes Ich:
hölzern, ein Pflock.
Dort: ein Gefühl,
vom Eiswind herübergeweht,
das sein tauben-, sein schnee-
farbenes Fahnentuch festmacht.
PAUL CELAN
Es schneit
Der erste Schnee, weich und dicht,
Die ersten wirbelnden Flocken.
Die Kinder drängen ihr Gesicht
Ans Fenster und frohlocken.
Da wird nun das letzte bischen Grün
Leise, leise begraben.
Aber die jungen Wangen glühn,
Sie wollen den Winter haben.
Schlittenfahrt und Schellenklang
Und Schneebälle um die Ohren!
–; Kinderglück, wo bist du? Lang,
Lang verschneit und erfroren.
Fallen die Flocken weich und dicht,
Stehen wir wohl erschrocken,
Aber die Kleinen begreifen’s nicht,
Glänzen vor Glück und frohlocken.
Gustav Falke.

Schnee-Masken
Es hat der Schnee über Nacht
Meine Totenmaske gemacht
Weiss war das Lachen des Schnees
Und meinen Schatten verwandelt
Er in ein Fastnachtsgewand
Ein Sturm von goldnen Triangeln
Hat plötzlich die tönende Stadt
Gehoben aus all ihren Angeln
Im siebenfarbenen Licht
Wurden die Türme der Zeit
Von ihren Ankern befreit
Der Schnee hat über Nacht
Mein Traumgesicht wahrgemacht
YVAN GOLL
Eine eiserne Rose dieser Winter,
der nirgends endet
haben wir nicht alles gehabt, alles Spanien; den ganzen
Nordpol; das vergilbende Heimatdorf;
o Europa Silberdorn; Raubtierzähnchen unsrer Welt;
Gärten verstrebt; hingehaucht Wälder stiebend;
Wolkenhüter;
Balkone zu nassen Sommern
Geschenke des Nil; Einbrüche der Nacht; Flugprobe der
Krähen
Winter-Raben einsichtlos pickend
verloren an Gesichter die erzählen
hinge.geben an Augen auf Reisen
eingewurzelt in Haut
eingewachsen in Wunden
bemoost Drangsal und Irrwisch –
(“…mein Herz: vielleicht ein leeres Zimmer; von
Gespenstern bewohnt …”)
. . aber die Hälse der Tier-Kinder (nur mit ihren Hälsen
seiend und vielleicht mit der Undurchdringlichkeit
der Angst:
dunklen Augs;
aber die Sanftmut eines Kinds: Jackie; – Jonnie
spielt auf .. ) ..
. .ich lebe in deinem Leben ohne dasz du es willst
(» .. von Bäumen und Wass,ern kann ich nicht lernen..«)
die ganze Enzyklopädie blättert in meinem Schosz
und dein Zurückfallen in einen Schlaf aus dem du
eine Erinnerung an nie-bereiste Orte ..
ungehörte Lieder
Schlupfwinkel der Zukunft ..
. . im zornigen Verkehr einer zitternden Eis-Blume!
aber ja; aber ja; es wird ihn geben den Tag und durch die
Reisfelder des tauenden Frühlings schwankt
milchig und vollkommen schwer ..
Rehe und Hirschkäfer Krähen versteift mutig kalt
eingedenk
alljährlicher Überwinterung –
ist auf und ab mein Weg; deine Locke ist Trauer;
und die Ringe haben wir längst
getauscht!
verfrüht meld et sich Unruhe an
… verlobend und eingekauert
(o! Jeremias)
FRIEDERIKE MAYRÖCKER
Schneesturm
So nah hängt der Westen
herüber: der halbe Tag kann nicht mehr
entfalten den nassen Flügel.
Ein Wind füllt den Raum
mit fremden Lüften und
Schwaden fremderen Dunkels.
Wo ist das Nächste, was jeder Blick
uns antraute?
Eine reissende Wolke,
grau und dann schwefelgelb gefleckt.
Waagrecht fliegender Schnee!
Vor den Schreien des Nichts
gefrieren die wässrigen Flocken,
wimmeln, verheeren das Land wie ein Schwarm
gieriger Mücken.
Mit halbem Auge sahn wir die Erde.
Ihr Spiegel zerbrach, unter Splittern
liegt sie nackt.
Von oben Willkür, kein Licht
scheint, und unten empfängt kein Schatten
den fallenden, ungestalten Tag.
Die Äcker sind schwarz wie vor Anfang.
Namenlos bleibt alles zurück,
wo selbst der Himmel
verstummte.
Tropfen fallen, der Schnee
dämmert, wird glasig. In dunklen Flecken
schimmen Gras. Noch stehen die Bäume
hölzern, da holt die Erwartung
Atem, der Boden dampft.
LUDWIG GREVE
Alles still!
Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl im Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.
Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei,
Keiner Fichte Wipfel rauschet
Und kein Bächlein summt vorbei.
Alles still! Die Dorfes-Hütten
Sind wie Gräber anzusehen,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.
Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herz durch die Nacht; –
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.
Theodor Fontane.
Wintervögel
Kommt der erste Schneesturm angeschnoben,
Hängt der Talgring schon am Giebel droben.
Sorgt euch nicht! In einem trocknen Eckchen
Baumelt prallgefüllt das Erdnusssäckchen.
Sonnenblumenkern mit Hanf und Lein
Werden reichlich vor dem Penster sein.
Da der Kleiber taktstockmässig klopft,
Lässt die Haubenmeise, spitzbeschopft,
Ihren wirschen Flötentriller los,
Und der Grünling kreischt tempestuos.
Weht ein Zirpen aus dem Schwarzgetann,
Welches nur ein Goldhähnchen sein kann.
Mit der Fastnachtsmaske vorm Gesicht,
Denkt’ die Blaumeise, man kennt sie nicht!
Stolz der Dompfaff wölbt den roten Bauch,
Und der Bergfink seinen bunten auch.
Glaubt man Blut auf falbem Flaum zu sehn,
Dürfte sichs um einen Hänfling drehn.
Ach was hat dies Rotkehlchen verführt,
Dass es nicht den Drang zum Wandern spürt!
Andre seinesgleichen schnalzen jetzt,
Wo der Kalif Storch den Schnabel wetzt.
Doch vielleicht auch liess man sie bereits
Bruzzeln in der italien’schen Schweiz.
Dicke Amsel auf dem kahlen Ast,
Wo du jetzt noch deinen Schmer her hast?
Oder plusterst du dich nur aus Wut,
Wenn du siehst, was sich im Rinnstein tut?
Unbestritten hält dort seinen Platz,
Wie im Sommer, der gemeine Spatz.
Hundertmal das Hälschen ausgereckt,
Eh den Schnabel man ins Futter steckt!
Lautlos schleicht der Katzenfuss im Schnee,
Und der Stösser kreist in Wolkenhöh.
Viel zu viele gehen drauf alljährlich.
Passt nur auf! Das Leben ist gefährlich …
Doch ihr wisst, dass man dem schwarzen Mann
Hinterm Fensterkreuz vertrauen kann.
CARL ZUCKMAYER

Winter
Der Triefbart zackt vereist vom Regenrohr.
Nordost steift wölfisch das gespitzte Ohr.
Ein Stern friert bläulich an, von Dunst umdickt.
Der Neuschnee klingelt glas behängt und tickt.
Und Krähen schwimmen in den Acker schwer,
Der starre Wellen schlägt, ein schweigend Meer.
Ich steh am Uferwege, welk und klein,
Und senkte gern der Schäumeflut mich ein,
Die Fischernetze tater Amseln schleppt,
In steinern grünlich dunklen Abend ebbt.
Leicht splittert von der Wunde meiner Brust,
Dem schwarzen Kreis, ein Vogel ab: Gekrust.
Der Schneeglanz spült ihn hin: verdorrter Klang,
Der Regenbogen über Wälder sang.
Ich blieb. Durch meine Lider stichelt Reif.
Und hinterm Auge, weit, zerfliesst ein Streif
In Grau und Rosa. BlaB verwischter Steig.
Ein Silberkelch, aprilner Pfirsichzweig,
Der leise, dichte Bienensüsse weht.
Die Woge atmet in ein Scillabeet
Den stummen Fittich aus: er dehnt sich matt …
Kalt bleicht die Mondstirn, die kein Antlitz hat.
GERTRUD KOLMAR
Harzreise im Winter
Dem Geier gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittig ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Denn ein Gott hat
Jedem seine Bahn
Vorgezeichnet,
Die der Glückliche
Rasch zum freudigen
Ziele rennt;
Wem aber Unglück
Das Herz zusammenzog,
Er sträubt vergebens
Sich gegen die Schranken
Des ehernen Fadens,
Den die doch bittre Schere
Nur einmal löst.
In Dickichtsschauer
Drängt sich das rauhe Wild,
Und mit den Sperlingen
Haben längst die Reichen
In ihre Sümpfe sich gesenkt.
Leicht ist’s, folgen dem Wagen,
Den Fortuna fuhrt,
Wie der gemächliche Troß
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug.
Aber abseits, wer ist’s?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.
Ach, wer heilet die Schmerzen
Des, dem Balsam zu Gift ward?
Der sich Menschenhaß
Aus der Fülle der Liebe trank.
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Wert
In ungenügender Selbstsucht.
Ist auf deinem Psalter,
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich,
So erquicke sein Herz!
Öffne den umwölkten Blick
Über die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste!
Der du der Freuden viel schaffst,
Jedem ein überfließend Maß,
Segne die Brüder derJagd
Auf der Fährte des Wilds
Mit jugendlichem Übermut
Fröhlicher Mordsucht,
Späte Rächer des Unbills,
Dem schon Jahre vergeblich
Wehrt mit Knütteln der Bauer.
Aber den Einsamen hüll’
In deine Goldwolken!
Umgib mit Wintergrün,
Bis die Rose wieder heranreift,
Die feuchten Haare,
O Liebe, deines Dichters!
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
Über grundlose Wege
Auf öden Gefilden;
Mit dem tausendfarbigen Morgen
Lachst du ins Herz ihm;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst du ihn hoch empor.
Winterströme stürzen vom Felsen
In seine Psalmen,
Und Altar des lieblichsten Danks
Wird ihm des gefürchteten Gipfels
Schneebehangner Scheitel,
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.
Du stehst mit unerforschtem Busen
Geheimnisvoll-offenbar
Über der erstaunten Welt
Und schaust aus Wolken
Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,
Die du aus den Adern deiner Brüder
Neben dir wässerst.
Johann Wolfgang von Goethe

Der Winter
Von einer Brücke schreit vergrämt ein Hund
Zum Himmel … der wie alter grauer Stein
Auf fernen Häusern steht. Und wie ein Tau
Aus Teer liegt auf dem Schnee ein toter Fluss.
Drei Bäume, schwarzgefrorne Flammen, drohn
Am Ende aller Erde. Stechen scharf
Mit spitzen Messern in die harte Luft,
In der ein Vogelfetzen einsam hängt.
Ein paar Laternen waten zu der Stadt,
Erloschne Leichenkerzen. Und ein Fleck
Aus Menschen schrumpft zusammen und ist bald
Ertrunken in dem schmählich weißen Sumpf.
Alfred Lichtenstein
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Rainer Maria Rilke
