Ode an die Taube van Abraham Sutzkever
10 schilderingen nav zijn gedicht in 10 coupletten: 2025 pigment, sumi-e, oilpastel, watercolour, pastel, inkt, houtskool op papier – gevernisd, 50×35 cm
Ode an die Taube
(Ode tsu der tojb, 1955)
Ode an die Taube
1
Selten, ein einziges Mal in der Kindheit, erscheint ganz aus Farben und
leuchtend
unter den Sternen ein Engel, und dessen Gesang klingt auf immer.
Eben dies tat er – und war schon verschwunden am anderen Ende der
Welt,
liess überm heimischen Schornstein gleichwohl mir ein Zeichen zurück –
eine Feder.
Nein, kein gewöhnlicher Engel, wie käme denn dem in den Sinn so ein
Junge?
Es ist ein Wunder! Die Feder – sie ist eine Taube im schneeig-magnetischen
Morgen.
Kaum erst geboren, schon flattert die Taube, zum Lernen bleibt ihr nicht
die Zeit,
bis sie herabfällt in silbernen schwebenden Kreisen bis vor seine Schwelle.
Nester, die Finger des Jungen, sie geben ihr Warme, sie küssen.
Schon gurrt mit sonnigem Atem aufs Neue ihr schneeweisser Flaum,
es lehrt der Junge sie fliegen, wie Erbsen zu picken den Nebel.
»Hast mich gerettet, mein Lieber«, so nickt sie ihm zu mit dem Kopf.
»Welches Geschenk willst du haben? Besinne dich aber nicht lange.
Nun, meiner Weisse Geheimnis vielleicht oder ewigen Schnee oder ein
Amulett?«
Und wie berauscht gibt der Junge ihr Antwort: »Mein Liebling, bin ich dir
so teuer,
komm, wenn ich später dich rufe, in Regen, in Schnee und in Feuer.«

2
Klänge, in Lippen gefangen wie Perlen in Schlössern des Meeres,
stumm schon seit tausenden Jahren, und über der Stummheit – ein Messer.
Taube, du Kind meiner Kindheit, gib Sprache den Lippen, gib Sprache,
höre das Weinen der Klänge, damit nicht die Träume verlöschen …
Plötzlich ein Kuss meinen Lippen. Wer bin ich, und wo? Und die Schlösser
schliessen sich auf von alleine. Die Stummheit – zerschnitten vom Messer.
Perlen und Perlen und Perlen, wie Brandung geheimnisvoll rauschend,
regnen herab von den Lippen, und mich überkommt eine perlende Furcht.
…Grillen, nach Schusterart, hämmern mir Gräser hinein in die Stirn,
und auf dem Dachboden wächst eine Wiese und taut auf die Wange mir
Tränen.
Hähne, getötete, krähen um einen Moment voller Trauer zu ehren.
Schmelzwässer giessen entzündeten Spiritus mir in mein Ohr.
Wer hat die Finger so trunken gemacht, dass sie solch eine Zeile erschaffen:
»Alle, die länger nicht leben, sie säen in mich ihre Kraft«?
Taube, geschenkt hast du mir einen Bogen Papier, meinen Spiegel,
hast meinen Wörtern, den funkelnden, übergehalten die schirmenden
Flügel.

3
Bogen Papier, du bist Denkmal, ein Nest haut die Taube in deinem –
Gewebe,
Bogen, auf dir, nicht in Marmor, ist ewig das Antlitz des Träumers.
Hier, zwischen Klängen, die rau widerhallen, versunkenen irdenen Formen,
sammle ich silberne Silben und füttre mit ihnen die Taube.
Sonne im Abendrot singt in der Lampe. Und unter der magischen Lamp
bau ich aus beinernen Klängen und mit meinem eigenen Blute bedeckt, –
einen Tempel.
Sie sang das Wort nicht zu Ende, und so ist das Wort ungeschliffen.
Wie ein Vulkan, so glüht Dichtung, versiegelt in bronzenen Tiefen.
Hier mit dem Federkiel, da dirigier ich ein eigenes stilles Orchester:
Es kommen Seelen im Regen und tropfen herab durch die Decke.
Kirschen, im Kerker der Bäume, – auf meinen Befehl, ihre Plätze
zu tauschen,
Nahen sie auf ihren purpurnen Füssen, damit sie als Kirschen nun leben
in Wörtern.
Zeigt sich im Tempel ein Wurm. Zauberei dieser Art ist ihm fremd.
Eigentlich Kirschen, zerkratzen als Wörter sie ihm seinen Gaumen
wie Sand.
Schwesterlich gurrt meine Taube: “Befiehl du den Kirschen zu kommen,
–du bist das Mass und der Mass nimmt, so erbe: verschwundne Visionen.«

4
Tänzerin meine, wer bist du, sag, hat dich geboren dereinst eine Geige?
.Wenn du so tanzt, gräbt ein Spaten den Garten des Leibes mir auf.
Krank ist die Kleine, ist mondsüchtig, in ihrem silbernen Nachthemd
schwimmt sie nicht selten als Welle hinweg in die Kälte zerschäumender
Welten.
Voll ist mein Kopf mit Rezepten ihr himmlisches Fieber zu heilen, –
doch in der Zwischenzeit hat sich ein Mondjüngling in meine Liebe
verliebt.
Wirf nach ihm Speere wie Saul, schon versteckt sich der Jüngling
in Zweigen.
Willst du in Versen ihn binden, dann streckt er den silbernen Finger.
Doppelte Fenster bestell ich, mein Glück zu beschützen vor Männern …
Heil sind sie wie meine Liebe, die Scheiben, und sauber und doppelt,
doch jener
saugt meine Liebe hinaus und betört sie mit schönem Geschenk.
Statt dass sie in meinem Tempel tanzt, tanzt sie am Rande des Mondes.
“Taube, komm sag es dem Mond er möge so heftig nicht brennen,
lehr du die Tänzerin fliegen, hoch oben zu fliegen, dergleichen ist eine
Kunst.
Dich will ich reichlich belohnen mit Körnern, begehrt überall und
bei allen,
nie soll sie fallen, wenn doch, nicht auf Dornen, nein, auf meine Brust
soll sie fallen.«

5
Bauen den Tempel und bauen, mit Sonnenvernunft ihn erbauen!
Da kommt im Feuer der Teufel und bringt meiner Taube Versuchung.
Grau ist die Sonne. Und jegliche Farbe verspinnt er mit Grauton von
Flechten,
ausgebrannt ist nun der Tempel, es fliehen die Säulen wie Tiere.
Kinder, wie goldene Vögel, zerstückt er bis auf die Skelette,
Gift auf den Lippen von Klängen, damit sie die Dichter vergiften.
Antlitze stecken auf Hälsen wie Schatten von Äxten im Boden.
Glücklich die Toten, wenn Eisen und Fleisch sich verbrüdern.
Sumpfig sind Erde und Himmel, und ich bis zum Halse versunken.
Feuer – und mir ist so finster. Ein Stein mit erloschenen Funken.
Doch in den gläubigen Fingern der Bogen Papier, der gerettete,
da müssen knien die Feuer, sie sind über ihn nämlich machtlos.
Ich weiss – die Taube, das ist dieser Bogen, sie lässt meine Finger nicht
starr sein,
Wörter wie Enkel, sie sollen Gedächtnis sein der Unterdrückerzeit.
Ohne die Taube sind Tage nur Milben, und rein müssen Formen sein, an
die ich glaube.
Ich sammle silberne Silben und füttre mit ihnen die Taube.

6
»Ja, ich bin schuldig, bin schuldig, und Sünde war, dass ich verlangte,
du sollst die Tänzerin her zu mir bringen zu irdischen Ähren.
Tiefen aus Feuer, sie schlangen hinab ihre junge, einmalige Bläue,
heiss brennen jetzt meine Schläfen von Perlen in Aschenglut –
von ihrem Grau.«
»Nein, bist nicht schuldig, nicht schuldig, die Tänzerin tanzt ihren eigenen
Tanz voller Wärme, von Jugend in lächelnden blauen Gewölben.
Wandre von einem ins andre Land, trenne die Nabelschnur zur
Mutter Erde,
oben der Tanz wird dir helfen, die Welt auf die Gabel zu nehmen.«
»Oben der Tanz ist ein Traum, meine Taube, wohin soll ich wandern?
Augen von Toten, wie Nägel, sind mir in den Leib eingeschlagen, sie nageln mir meine Seele ans Nichts. Und mein Brot und mein Salz – bloss Ruïne.
Niedergetreten die Heimat, mit Gras ist verschimmelt mein Land.«
»Ich werd die eigenen Flügel dir geben, herausziehen werd ich die Nägel
aufbauschen wird sich mit Freiheit ein weisser Gedanke als Segel.
Du bist dem Tode nicht hörig, es kreisen die Tage und kreisen,
ewig ist nur die Legende, sie wird dir ihr Lächeln erweisen.«

7
Welt. Was ist Welt? Ein Gesang nur wie Wellen, wie Wälder, wie Welt.
In meinen Adern, da klagt ihr Gesang, dieser göttliche: Herrsche!
Ich lösch die Klage mit Meeren, es grüssen mich niemals gesehene Städte.
Halt! Einen Regen Terzinen, sein Spiel, hat er hier gespielt: Dante.
»Meister der Hölle, wirst einwilligen du eine Weile zu tauschen die Höllen?
Ich will in deiner spazieren, und du – in dem Feuer der andern …
Schmälern kann niemals dir, Meister, dergleichen den ewigen marmornen
Ruhm,
du bist und bleibst Alighieri, es bleibt deine Hölle stets Allegorie.«
Menschen … , wo sind sie, die Menschen? Muss neidisch man sein
auf den Staub,
nur in den Worten von einem, da lebt noch ihr Geist und ihr Glauben.
Friedhöfe klingen – man hört’s nicht … , für mich sind sie Herbergen.
Halt! Wie ein Löwe, so sang einst Ha-Levi das Lied meiner Sehnsucht
in Spanien’.
He, ihr Poeten, das Leben wär nichts ohne euch als ein Traumbild,
ohne die Dichtung, da hätte es, wie ein Kamel, schon den Kniefall getan
vor dem Tod.
Menschen und Tiere, sie hätten sich nichts als gequält, immer einsamer,
fremder,
und meine Taube, die treue, hätt nicht auf der Flöte begleitet mich
über die Länder.

8
Tänzerin, sag mir, wo bist du? Mein Haar verspürt deine Bewegung…
Antwort weiss nicht mal die Taube: Wo ist denn dein Heim, dein Theater?
Manchmal kommt eine Gazelle und bringt mir im sonnigen Tau
deine Augen,
wer ist das Zittern im Garten, wo Blautöne blühen, chagallisch?
Hinter dem Wald, wenn es regent, wer atmet mich ein, regenbogig?
Wer ist die Welle, de nackte – ist gliederlose und doch geschmeidig?
Wer ist der Schnee der Lawine im Sonnenlicht an einer Felswand?
Küssen die Brüste, das möchte ein Adler, sogleich überschüttet sie ihn
mit Girlanden.
Wer ist der Spiegel in Tränen? Und wer sind die neue Gesichter?
wer ist die Frau in dem Sarg dieses rosenbestreute Begräbnis?
Räder, sie drehen sich, drehen sich, schlingen und wickeln den Schatten
mir auf.
Heute erst war es, da hat sich ein Spaten von selbst in sein Grab
eingegraben.
Wer ist die weisse Verwandlung und kann nicht heraus aus der Birke?
Wer ist das Echo der Stille, und wer ist die rosige Stille?
Gibt es denn keinerlei Antwort für mich? Bin ich loderndem Wahn
Überlassen?
Heute erst war es, da haben sich Steine von selber versteint in den Gassen.

9
Irgendwo weit in der Welt fiel ein Meteoritenstein, und sein Gesang
zog mich durch Urwälder an, bis ich endlich ihn liegen sah
noch voller Duft von Gestirnen. Daneben ein Löwe, hoch
auf einem Felsen,
und sein Gebrüll, das zu Glocken er goss, dazu eine Flamme, die alles
verschmolz.
Wer ist der Stein? Ja, ich weiss es. Musik unter goldenen Rippen.
Mich ruft beim Namen das Himmelskind. Lippen und Lippen, sie suchen
einander.
»Ich bin die Tänzerin, frag nicht … Gelobt sei der brüllende Löwe.
Angesagt hat mir der König dein Kommen, dein Kommen, dein
Kommen.«
Starr, immer starrer die Glieder. Bis schliesslich mein Leib, der in Liebe
entbrannte,
völlig sich auslöscht. »Komm, still meine Lippen, komm näher!
Will dir ein Zeichen auch lassen: drei blutige Tropfen, die letzte
ehe der Mond als mein Grabstein mir steht überm Haupte.
Ich bin der Schnee der Lawine, die leuchtende Birke, der Spiegel,
ich bin das Echo der Stille, das rings dich im Kreise umschliesst.
Sammle die Klänge, die Bilder, dein Land wird vor Hunger schier brennen.
Leb sie, beleb sie und schildre!«
So haben wir Abschied genommen.

10
Am Roten Meer unter Baumgezweig. Wellen im Klang meiner Ode.
Stille. lm Schatten – ein Mühlstein, gedreht von der rastlosen Sonne.
Ich atme Heuschreckendünen – die Hüter von Zeit und Erinnerung.
Hier zog das Volk, vierzig biblische Jahre auf Wanderschaft.
Meilen von Fussstapfen unter dem Sand, ihre Zahl ist so gross
wie die Wüste.
Könnten die Heuschreckendünen mir tiefer doch ihre Visionen enthüllen!
Meine Jahrzehnte, wo sind sie, die vier? In der Wüste, zusammen mit jenen?
Blieben Gebeine nur, nichts als Gebeine, und dank einer blinden Hyäne?
Auf meiner Achsel die Taube, sie gurrt: »Guten Morgen. Und darf ich
dich fragen:
Sind Jahre nichts als Gebeine? Ein Hauch, und ihr Spiel ersteht
vor meinen Augen.
Ähren mit Augen von Kindern bewegen sich unter den Dünen,
Ähren, erstanden vom Tode, und oben – ein Wölkchen mit Saiten!«
»Taube, stets bist du dieselbe, die Flügel nie grau, ist das möglich?
Soll ich hier bauen den Tempel, ihn bauen wie einst, Tag für Tag?
Soll ich es tun, meine magische Lampe ergrünen erneut und erblauen«
»Bauen den Tempel und bauen, mit Sonnenvernunft ihn erbauen!«

1954
Abraham Sutzkever