Schwanenlied
Wenn die Augen brechen,
Wenn die Lippen nicht mehr sprechen,
Wenn das pochende Herz sich stillet
Und der warme Blutstrom nicht mehr quillet:
O dann sinkt der Traum zum Spiegel nieder,
Und ich hör’ der Engel Lieder wieder,
Die das Leben mir vorüber trugen,
Die so selig mit den Flügeln schlugen
Ans Geläut der keuschen Maiesglocken,
Daß sie all die Vöglein in den Tempel locken,
Die so süße wildentbrannte Psalmen sangen:
Daß die Liebe und die Lust so brünstig rangen,
Bis das Leben war gefangen und empfangen;
Bis die Blumen blühten;
Bis die Früchte glühten,
Und gereift zum Schoß der Erde fielen,
Rund und bunt zum Spielen;
Bis die goldnen Blätter an der Erde rauschten,
Und die Wintersterne sinnend lauschten,
Wo der stürmende Sämann hin sie säet,
Daß ein neuer Frühling schön erstehet.
Stille wird’s, es glänzt der Schnee am Hügel
Und ich kühl’ im Silberreif den schwülen Flügel,
Möcht’ ihn hin nach neuem Frühling zücken,
Da erstarret mich ein kalt Entzücken –
Es erfriert mein Herz, ein See voll Wonne
Auf ihm gleitet still der Mond und sanft die Sonne
Unter den sinnenden, denkenden, klugen Sternen
Schau’ ich mein Sternbild an in Himmelsfernen;
Alle Leiden sind Freuden, alle Schmerzen scherzen
Und das ganze Leben singt aus meinem Herzen:
Süßer Tod, süßer Tod
Zwischen dem Morgen- und Abendrot.
[Brentano: Schwanenlied. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 284
Hüllt der Frost den Kreis der Erden
In ein Kleid, das Silber-weiß,
Wenn recht als begraben werden
Feld und Land in Schnee und Eis;
Sucht der Mond, mit blassen Strahlen,
Auch die Schatten weiß zu malen,
Und sein kühler Silber-Schein
Scheint dem Winter gleich zu seyn.
[Brockes: Die Sonne. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 338
Kirsch-Blühte bey der Nacht
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirsch-Baum, welcher blüh’te,
In küler Nacht beym Monden-Schein;
Ich glaubt’, es könne nichts von gröss’rer Weisse seyn.
Es schien, ob wär’ ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der klein’ste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weissen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nemlich jedes Blat,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
So gar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht’ ich, kann auf Erden
Was weissers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe:
Sah’ ich von ungefehr
Durch alle Bluhmen in die Höhe
Und ward noch einen weissern Schein,
Der tausend mal so weiß, der tausend mal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blühte Schnee schien schwarz zu seyn
Bey diesem weissen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weisses Licht,
Das mir recht in die Sele stral’te.
Wie sehr ich mich an GOtt im Irdischen ergetze,
Dacht’ ich, hat Er dennoch weit grös’re Schätze.
Die gröste Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
[Brockes: Kirsch-Blühte bey der Nacht. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 358
Herbstmorgen
Die Wolken ziehn, wie Trauergäste,
Den Mond still – abwärts zu geleiten;
Der Wind durchfegt die starren Äste,
Und sucht ein Blatt aus beßren Zeiten.
Schon flattern in der Luft die Raben,
Des Winters unheilvolle Boten;
Bald wird er tief in Schnee begraben
Die Erde, seinen großen Toten.
Ein Bach läuft hastig mir zur Seite,
Es bangt ihn vor des Eises Ketten;
Drum stürzt er fort und sucht das Weite,
Als könnt’ ihm Flucht das Leben retten.
Da mocht’ ich länger nicht inmitten
So todesnaher Öde weilen;
Es trieb mich fort, mit hast’gen Schritten
Dem flücht’gen Bache nachzueilen.
[Fontane: Herbstmorgen. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 708
Polarszene
Auf blinkenden Gefilden
Ringsum nur Eis und Schnee,
Verstummt der Trieb zu bilden.
Kein Sänger in der Höh.
Kein Strauch, der Labung böte,
Kein Sonnenstrahl, der frei,
Und nur des Nordlichts Röte
Zeigt wüst die Wüstenei.
So siehts in einem Innern,
So stehts in einer Brust,
Erstorben die Gefühle,
Des Grünens frische Lust.
Nur schimmernde Ideen,
Im Kalten angefacht,
Erheben sich, entstehen
Und schwinden in die Nacht.
[Grillparzer: Tristia ex Ponto. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 1137
Schneeglöckchen
Schneeglöckchen, ei, du bist schon da?
Ist denn der Frühling schon so nah?
Wer lockte dich hervor ans Licht?
Trau’ doch dem Sonnenscheine nicht!
Wohl gut er’s eben heute meint,
Wer weiß, ob er dir morgen scheint?
»Ich warte nicht, bis Alles grün;
Wenn meine Zeit ist, muß ich blüh’n.
Der mich erschuf für diese Welt,
Heißt blüh’n mich, wann es ihm gefällt;
Er denkt bei Schnee und Kälte mein,
Wird stets mein lieber Vater sein.«
[Hoffmann von Fallersleben: Schneeglöckchen. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 1712
Erster Schnee
Wie nun alles stirbt und endet
Und das letzte Rosenblatt
Müd sich an die Erde wendet,
In die warme Ruhestatt:
So auch unser Tun und Lassen,
Was uns heiß und wild erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei ins welke Laub gelegt!
Reiner, weißer Schnee, o schneie,
Schneie beide Gräber zu,
Daß die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Winterruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Haß umsonst die Hände
Träumend aus dem Grabe streckt!
[Keller: Erster Schnee. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 2172
Winternacht
Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee,
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.
Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.
Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied für Glied.
Mit ersticktem Jammer tastet’ sie
An der harten Decke her und hin.
Ich vergeß das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!
[Keller: Winternacht. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 2212
Lied eines Lappländers
Komm Zama, komm! Laß deinen Unmuth fahren,
O du der Preis
Der Schönen! komm! In den zerstörten Haaren
Hängt mir schon Eis.
Du zürnst umsonst. Mir giebt die Liebe Flügel,
Nichts hält mich auf.
Kein tiefer Schnee, kein Sumpf, kein Thal, kein Hügel
Hemmt meinen Lauf.
Ich will im Wald auf hohe Bäume klimmen
Dich auszuspähn,
Und durch die Fluth der tiefsten Ströhme schwimmen,
Um dich zu sehn.
Das dürre Laub will ich vom Strauche pflücken,
Der dich verdeckt,
Und auf der Wies’ ein iedes Rohr zerknicken,
Das dich versteckt.
Und solltest du, weit übers Meer, in Wüsten
Verborgen seyn;
So will ich bald an Grönlands weißen Küsten,
Nach Zama schreyn.
Die lange Nacht kommt schon. Still mein Verlangen
Und eil zurück!
Du kommst, mein Licht! du kommst, mich zu umfangen;
O, welch ein Glück!
[Kleist: Lied eines Lappländers. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 2290
Soldatenabschied
Heute scheid’ ich, heute wandr’ ich,
Keine Seele weint um mich.
Sind’s nicht diese, sind’s doch andre,
Die da trauern, wenn ich wandre:
Holder Schatz, ich denk’ an dich.
Auf dem Bachstrom hängen Weiden,
In den Tälern liegt der Schnee –
Trautes Kind, daß ich muß scheiden,
Muß nun unsre Heimat meiden,
Tief im Herzen tut mir’s weh.
Hunderttausend Kugeln pfeifen
Über meinem Haupte hin –
Wo ich fall’, scharrt man mich nieder,
Ohne Klang und ohne Lieder,
Niemand fraget, wer ich bin.
Du allein wirst um mich weinen,
Siehst du meinen Totenschein.
Trautes Kind, sollt’ er erscheinen,
Tu’ im Stillen um mich weinen,
Und gedenk’ auch immer mein.
[Müller: Soldatenabschied. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 2856
Ein Winterabend
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
[Trakl: Ein Winterabend. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 3875
Das ist das Haus am schwarzen Moor
Das ist das Haus am schwarzen Moor!
Wer dort im letzten Winter fror,
Der friert dort nicht in diesem Jahr –
Er sank schon längst auf die Totenbahr.
Das ist das Haus am schwarzen Moor,
Das Haus, wo der alte Jan erfror.
Zur Tür gewandt das weiße Gesicht,
Starb er und wußt es selber nicht.
Er starb. – Da kam, wie ein scheues Reh,
Der Tag und hüpfte über den Schnee.
»Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –
Der Jan keine Antwort geben kann.
Da erhuben die Glocken ihr hell Geläut,
Sie sangen und klangen und riefen so weit:
»Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –
Der Jan keine Antwort geben kann.
Da kamen die Kinder aus der Stadt:
»Wir wissen, wie lieb er uns alle hat;
Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –
Der Jan keine Antwort geben kann.
Tag, Glocken und Kinder er nicht verstund.
Da nahte die sonnige Mittagsstund,
Da nahte ein armes Weib: »Mein Jan,
Willst essen und trinken nicht, alter Mann?
Sieh, was ich brachte dir aus der Stadt;
Sollst froh nun werden und warm und satt!« –
Die Alte sah lange auf ihren Jan,
Da fing sie bitter zu weinen an.
Da weinte sie an dem schwarzen Moor,
Am Moor, wo der alte Jan erfror;
Da weinte sie ihr brennend Weh
Hinunter in den kalten Schnee.
[Weerth: Lieder aus Lancashire. DB Sonderband: 1001 Gedichte, S. 4067
Zigeunerlied
Im Nebelgeriesel, im tiefen Schnee,
Im wilden Wald, in der Winternacht,
Ich hörte der Wölfe Hungergeheul,
Ich’ hörte der Eulen Geschrei:
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
Ich schoß einmal eine Katz am Zaun,
Der Anne, der Hex, ihre schwarze, liebe Katz;
Da kamen des Nachts sieben Werwölf zu mir,
Waren sieben, sieben Weiber vom Dorf.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
Ich kannte sie all, ich kannte sie wohl,
Die Anne, die Ursel, die Käth,
Die Liese, die Barbe, die Ev, die Beth;
Sie heulten im Kreise mich an.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo wo!
Wito hu!
[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827). Goethe: Werke, S. 263
Klaggesang
von der edlen Frauen des Asan Aga
Aus dem Morlackischen
Was ist Weißes dort am grünen Walde?
Ist es Schnee wohl, oder sind es Schwäne?
Wär es Schnee, er wäre weggeschmolzen;
Wären’s Schwäne, wären weggeflogen.
Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,
’s ist der Glanz der Zelten Asan Aga.
Nieder liegt er drin an seiner Wunde.
Ihn besucht die Mutter und die Schwester;
Schamhaft säumt sein Weib, zu ihm zu kommen.
Als nun seine Wunde linder wurde,
Ließ er seinem treuen Weibe sagen:
»Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,
Nicht am Hofe und nicht bei den Meinen.«
Als die Frau dies harte Wort vernommen,
Stand die Treue starr und voller Schmerzen,
Hört der Pferde Stampfen vor der Türe,
Und es deucht ihr, Asan käm, ihr Gatte,
Springt zum Turme, sich herabzustürzen.
Ängstlich folgen ihr zwei liebe Töchter,
Rufen nach ihr, weinend bittre Tränen:
»Sind nicht unsers Vaters Asan Rosse,
Ist dein Bruder Pintorowich kommen!«
Und es kehret die Gemahlin Asans,
Schlingt die Arme jammernd um den Bruder:
»Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester!
Mich verstoßen, Mutter dieser fünfe!«
Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,
Eingehüllet in hochrote Seide,
Ausgefertiget den Brief der Scheidung,
Daß sie kehre zu der Mutter Wohnung,
Frei, sich einem andern zu ergeben.
Als die Frau den Trauerscheidbrief sahe,
Küßte sie der beiden Knaben Stirne,
Küßt’ die Wangen ihrer beiden Mädchen.
Aber ach! vom Säugling in der Wiege
Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reißen!
Reißt sie los der ungestüme Bruder,
Hebt sie auf das muntre Roß behende,
Und so eilt er mit der bangen Frauen
Grad nach seines Vaters hoher Wohnung.
Kurze Zeit war’s, noch nicht sieben Tage;
Kurze Zeit gnug; von viel großen Herren
Unsre Frau in ihrer Witwentrauer,
Unsre Frau zum Weib begehret wurde.
Und der größte war Imoskis Kadi;
Und die Frau bat weinend ihren Bruder:
»Ich beschwöre dich bei deinem Leben,
Gib mich keinem andern mehr zur Frauen,
Daß das Wiedersehen meiner lieben
Armen Kinder mir das Herz nicht breche!«
Ihre Reden achtet nicht der Bruder,
Fest, Imoskis Kadi sie zu trauen.
Doch die Gute bittet ihn unendlich:
»Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,
Mit den Worten zu Imoskis Kadi:
Dich begrüßt die junge Wittib freundlich
Und läßt durch dies Blatt dich höchlich bitten,
Daß, wenn dich die Suaten herbegleiten,
Du mir einen langen Schleier bringest,
Daß ich mich vor Asans Haus verhülle,
Meine lieben Waisen nicht erblicke.«
Kaum ersah der Kadi dieses Schreiben,
Als er seine Suaten alle sammelt
Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,
Mit den Schleier, den sie heischte, tragend.
Glücklich kamen sie zur Fürstin Hause,
Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.
Aber als sie Asans Wohnung nahten,
Sahn die Kinder obenab die Mutter,
Riefen: »Komm zu deiner Halle wieder!
Iß das Abendbrot mit deinen Kindern!«
Traurig hört’ es die Gemahlin Asans,
Kehrete sich zu der Suaten Fürsten:
»Laß doch, laß die Suaten und die Pferde
Halten wenig vor der Lieben Türe,
Daß ich meine Kleinen noch beschenke.«
Und sie hielten vor der Lieben Türe,
Und den armen Kindern gab sie Gaben;
Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,
Gab den Mädchen lange, reiche Kleider,
Und dem Säugling, hülflos in der Wiege,
Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.
Das beiseit sah Vater Asan Aga,
Rief gar traurig seinen lieben Kindern:
»Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen;
Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,
Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen.«
Wie das hörte die Gemahlin Asans,
Stürzt’ sie bleich, den Boden schütternd, nieder,
Und die Seel entfloh dem bangen Busen,
Als sie ihre Kinder vor sich fliehn sah.
[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827). Goethe: Werke, S. 615
März
Es ist ein Schnee gefallen,
Denn es ist noch nicht Zeit,
Daß von den Blümlein allen,
Daß von den Blümlein allen
Wir werden hoch erfreut.
Der Sonnenblick betrüget
Mit mildem, falschem Schein,
Die Schwalbe selber lüget,
Die Schwalbe selber lüget,
Warum? Sie kommt allein!
Sollt ich mich einzeln freuen,
Wenn auch der Frühling nah?
Doch kommen wir zu zweien,
Doch kommen wir zu zweien,
Gleich ist der Sommer da.
[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827). Goethe: Werke, S. 951
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh’.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.
[Heine: Buch der Lieder. Heine: Werke, S. 1225
Unterm weißen Baume sitzend,
Hörst du fern die Winde schrillen,
Siehst, wie oben stumme Wolken
Sich in Nebeldecken hüllen;
Siehst, wie unten ausgestorben
Wald und Flur, wie kahl geschoren; –
Um dich Winter, in dir Winter,
Und dein Herz ist eingefroren.
Plötzlich fallen auf dich nieder
Weiße Flocken, und verdrossen
Meinst du schon, mit Schneegestöber
Hab der Baum dich übergossen.
Doch es ist kein Schneegestöber,
Merkst es bald mit freud’gem Schrecken;
Duft’ge Frühlingsblüten sind es,
Die dich necken und bedecken.
Welch ein schauersüßer Zauber!
Winter wandelt sich in Maie,
Schnee verwandelt sich in Blüten,
Und dein Herz, es liebt aufs neue.
[Heine: Neue Gedichte. Heine: Werke, S. 1466
Caput XVI
Schaust du diese Bergesgipfel
Aus der Fern’, so strahlen sie,
Wie geschmückt mit Gold und Purpur,
Fürstlich stolz im Sonnenglanze.
Aber in der Nähe schwindet
Diese Pracht, und wie bei andern
Irdischen Erhabenheiten
Täuschten dich die Lichteffekte.
Was dir Gold und Purpur dünkte,
Ach, das ist nur eitel Schnee,
Eitel Schnee, der blöd und kläglich
In der Einsamkeit sich langweilt.
Oben in der Nähe hört ich,
Wie der arme Schnee geknistert,
Und den fühllos kalten Winden
All sein weißes Elend klagte.
»Oh, wie langsam« – seufzt’ er – »schleichen
In der Öde hier die Stunden!
Diese Stunden ohne Ende,
Wie gefrorne Ewigkeiten!
Oh, ich armer Schnee! Oh, wär ich,
Statt auf diese Bergeshöhen,
Wär ich doch ins Tal gefallen,
In das Tal, wo Blumen blühen!
Hingeschmolzen wär ich dann
Als ein Bächlein, und des Dorfes
Schönstes Mädchen wüsche lächelnd
Ihr Gesicht mit meiner Welle.
Ja, ich wär vielleicht geschwommen
Bis ins Meer, wo ich zur Perle
Werden konnte, um am Ende
Eine Königskron’ zu zieren!«
Als ich diese Reden hörte,
Sprach ich: »Liebster Schnee, ich zweifle,
Daß im Tale solch ein glänzend
Schicksal dich erwartet hätte.
Tröste dich. Nur wen’ge unten
Werden Perlen, und du fielest
Dort vielleicht in eine Pfütze,
Und ein Dreck wärst du geworden!«
Während ich in solcher Weise
Mit dem Schnee Gespräche führte,
Fiel ein Schuß, und aus den Lüften
Stürzt’ herab ein brauner Geier.
Späßchen war’s von dem Laskaro,
Jägerspäßchen. Doch sein Antlitz
Blieb wie immer starr und ernsthaft.
Nur der Lauf der Flinte rauchte.
Eine Feder riß er schweigend
Aus dem Steiß des Vogels, steckte
Sie auf seinen spitzen Filzhut,
Und er schritt des Weges weiter.
Schier unheimlich war der Anblick,
Wie sein Schatten mit der Feder
Auf dem weißen Schnee der Koppen,
Schwarz und lang, sich hinbewegte.
[Heine: Atta Troll. Heine: Werke, S. 2235
SEEFAHRT
Ich fuhr mit den freunden über den see
Der abend neigte sich
In dicken flocken flog der schnee
Und langsam unser nachen
Die dunkle flut durchstrich.
Die nebel verhüllten rings das land
Kein schein vom himmel schaut
Und von dörfern am strand
Erklingen die ave-glocken
Mit traurig gedämpftem laut.
Die küste beendet unsren lauf
Wir landen und steigen aus
Wir gehen zum kleinen ort hinauf ..
Kein mensch lässt sich erblicken
Und stumm steht jedes haus.
Wir kommen an der kirche vorbei
Die türe verschloss nicht ganz –
Es tönte darinnen wie litanei ..
Wir treten ein in der frommen kreise
Die mütter beten den rosenkranz.
Die freunde lachen – wir eilen fort.
Die zeit ist um! das dunkel droht!
Doch mich verlezt ihr spottend wort
Bin ich auch nicht viel besser selber –
Ich steige sinnend in das boot.
[Stefan George: Die Fibel. Auswahl Erster Verse. Stefan George: Gesamtausgabe der Werke, S. 77
AUFSCHWUNG
Hoch oberhalb der weiher und der ähren
Der wälder und der berge und der see ·
Jenseits von wolken und von ewigem schnee ·
Jenseits der grenzen der gestirnten sfären ·
Dort regst du dich in freiheit · meine brust!
Und wie sich schwimmer in den wellen breiten
So ziehst du durch die unermesslichkeiten
Mit männlicher unsagbar grosser lust.
Flieh weit aus dieser kranken dünste giften ·
In einem höhern luftraum werde rein
Und trink wie einen himmlisch echten wein
Das klare feuer in den lichten triften!
Los von dem kummer von der grossen qual
– Des nebeldüstern daseins lästge zügel –
Wie ist der glücklich der mit starkem flügel
Entschweben kann ins stille heitre tal!
Der dess gedanken auf der lerche schwinge
Emporgetragen werden in der früh …
Er fasst die welt und deutet ohne müh
Der blumen sprache und der stummen dinge.
[Stefan George: Baudelaire. Die Blumen des Bösen. Stefan George: Gesamtausgabe der Werke, S. 1427
TRÜBER HIMMEL
Dein auge erscheint wie umschleiert von dunstigem tau
Geheimnisvoll (ist es blau oder grün oder grau?)
Das wechselnd grausam · träumerisch oder verliebt
Die gleichmut und blässe des himmels wiedergibt.
Du bist wie die tage weiss und lau und verhüllt
Wo sich das bezauberte herz mit tränen erfüllt
Wenn von dem wehe das unbekannt in ihnen kreist
Zu wache nerven verspotten den schläfrigen geist.
Zuweilen bist du den schönen wolken verwandt
Wenn sie die sonne der nebligen zeiten entbrannt ..
Wie wirfst du dann deinen schimmer – gefeuchtete welt
Von eines getrübten himmels strahlen erhellt!
O werd ich – gefährliche frau und verführende luft –
So lieben euren schnee und nebligen duft
Und nehme ich aus dem himmel trostlos und kahl
Vergnügen die stechender sind als eis oder stahl?
[Stefan George: Baudelaire. Die Blumen des Bösen. Stefan George: Gesamtausgabe der Werke, S. 1484